Weltwissen
1998 erschien ein Buch von Donata Elschenbroich: >Weltwissen der Siebenjährigen<.
Seither benutzt man ihren Begriff, wenn davon die Rede ist, dass Kinder neugierig
sind auf das, was um sie her geschieht und was ihnen in ihrer Wirklichkeit begegnet
an Gegenständen, Tatsachen und Zusammenhängen.
Dabei schwingt immer
ein Gegensatz zum >Buchwissen< und die Mahnung mit: Die Pädagogik muss den
Kindern
Gelegenheit zu eigenen, unmittelbaren Erfahrungen geben und
darf mit dem forschenden Interesse der Kinder rechnen.
Statt sich darum
zu sorgen, wie man den Kindern festgelegtes Wissen in bekömmlichen Portionen
vermittelt, soll man sie in ihren selbstständigen Forschungen begleiten
und unterstützen.
Für Kinder vor der Schule mag es reichen, wenn ihrem Lerneifer Angebote
gemacht und
günstige Gelegenheiten geschaffen werden, wenn man sie beim
Lernen begleitet und unterstützt.
Damit ist viel zu bewirken, wenn die
Kinder tatsächlich Lerneifer mitbringen oder entwickeln.
Die Grundschule aber muss mehr und anderes leisten.
Sie muss planmäßig
dafür sorgen, dass die Kinder bestimmte Dinge rechtzeitig lernen,
auch
wenn sie nicht immer schon Lust darauf haben. Sie muss Lernen verordnen.
Es ist die Aufgabe der LehrerInnen in der Grundschule, Interesse und Lernlust
der Kinder
zu wecken und zu schüren, um sie dann auch befriedigen zu können,
indem sie den Kindern Aufgaben stellt und sie bei deren Lösung begleitet und unterstützt.
Verordnetes Lernen
gelingt Grundschulkindern allerdings am zuverlässigsten,
wenn ihnen Gewinn von frischem Weltwissen, nicht nur Buchwissen
ermöglicht wird,
wenn die erfahrene Wirklichkeit in und außerhalb
der Schule zum Lerngegenstand wird.
Das haben uns ReformpädagogInnen seit
mehr als hundert Jahren erklärt und gezeigt.
Die Schule hat es immer wieder
neu verstanden und neu vergessen.

Heute
ist das Weltwissen der Kinder
weniger durch Buchwissen,
als durch Medienwissen
gefährdet
und durch das Oberflächenwissen,
das didaktische Fertiggerichte
vermitteln.
Die LehrerInnen als pädagogische Mikrowelle!
Das weckt bei niemandem Lernfreude.
Kinder und Erwachsene werden einander überdrüssig, wenn das
Miteinander
nicht vom geteilten Interesse
an lebendigen Gegenständen
beseelt wird.
Ein Unterricht, in dem LehrerInnen nichts Neues lernen, taugt nicht viel!
Und Neues lernt sie nur, wenn sie der natürlichen
Mehrperspektivität, die die Kinder in ihrer
Verschiedenheit jeden Tag in die Schule bringen, erlaubt, die
Lerngegenstände zu öffnen.
Ein Beispiel:
Hier blasen immer zwei Kinder zusammen in ein Stückchen Fell.
Die Lehrerin kann nicht vorher schon wissen, was sie im Fell sehen und
was dann alles im großen Kreis zur Sprache kommt, weil es die Kinder drängt, darüber zu sprechen.
Ein anderes Beispiel:
Eine Hausaufgabe am Tag, der dem Wort >Welt< gewidmet ist:
„Schau daheim eine lange Weile aus einem eurer Fenster. Was siehst du da?
Morgen
sollst du uns allen davon erzählen. Alle kommen dran! Ich bin gespannt
darauf.“
So entsteht täglich Weltwissen:
Wissen von der Welt,
in der Welt,
aus der
Welt,
für die
Welt.
Das alles nicht nur für die Kinder, auch
für ihre LehrerInnen.
Ein anderes Beispiel:
Erkundung der Brücken ringsum und der Erfahrungen mit Brücken.
Als ich den im Download angefügten Artikel zum Thema >Brücken<
geschrieben habe, war ich nicht mehr Lehrerin. Leider! Die Brücken mit den Kinder aufzusuchen, das hätte
mich genauso interessiert
und überrascht wie die Treppen, deren Erkundung
mit meinen Schulkindern mich glücklich gemacht hat. Das spüre ich
heute noch bei jeder Treppe, die ich mit Muße hinauf oder hinunter gehe.
Download: Brücken
gibt’s doch überall – oder? (PDF, 1.8MB)
Lesehinweise
Martin Wagenschein:
Kinder auf dem Wege zur Physik.
Weinheim 1990
Ute Andresen:
Das erste Schuljahr, 1973; Das zweite
Schuljahr,1983; Ausflüge in die Wirklichkeit, 2000 (Darin ein Kapitel über die Erkundung der Treppen)
Hermann Krekeler:
Die kleinen Entdecker – Forschungsreisen
zu Hause. Freiburg 2007
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